Michelle Darkness (Sänger End Of Green)
"End Of Green ist einfach das, was wir seit 30 Jahren machen und genau so soll es auch bleiben."

Das nächste Interview, die nächste Band, die dieses Jahr einen runden Geburtstag feiert. Im Vergleich zu The Fright gibt es End Of Green allerdings nochmal 10 Jahre länger und sie feiern in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Viele Jahre davon habe ich die Band aktiv verfolgt, weil ihre düstere, melancholische Musik und vor allem die außergewöhnliche Stimme des Sängers Michelle Darkness, mich schon sehr lange durch viele Phasen meines Lebens begleiten. Daher freute ich mich natürlich umso mehr, dass er Lust hatte mir eines seiner relativ seltenen Interviews bei der ein oder anderen Zigarette und dem ein oder anderen Rothaus Tannenzäpfle zu geben. Das Gespräch vor ihrem Gig im UT Connewitz entwickelte sich dann auch schnell zu einem lockeren, angenehmen Smalltalk über das, was End Of Green ausmacht, die Pläne für die Zukunft und auch ein paar kleine private Einblicke.
Zur besseren Lesbarkeit wurde dieses Interview übrigens vom Schwäbischen ins Hochdeutsche übersetzt.
Dass es dieses Mal keine passenden Bilder zum Interview gibt und nur dieses Selfie, könnte zum einen an der leicht chaotischen Entstehung des Interviews liegen, vielleicht aber auch an der Verpeiltheit mancher Leute oder auch dem übermäßigen Genuss alkoholhaltiger Kaltgetränke an diesem Abend. Die Interpretation ist ganz dem Leser überlassen. ;)



R: Schön, dass das heute so spontan geklappt hat. Bei diesem Interview habe ich tatsächlich auch mal so etwas wie einen Fanboy-Moment. Es gibt ganz wenige Bands, die mich, wie End Of Green, so intensiv mein ganzes Leben begleiten. „Believe My Friend“ war tatsächlich irgendwann 1999 oder 2000 eine meiner allerersten Platten. Deswegen werde ich heute die Chance nutzen und alles fragen, was ich schon immer mal wissen wollte…

MD: Na dann. Los…

R: Bei der Vorbereitung auf das Interview habe ich, wie immer, die Suchmaschinen im Netz bemüht und festgestellt, dass es generell immer relativ wenig von euch dort zu sehen und zu lesen gibt? Social Media ist nicht so euer Ding, oder?

MD: Nein, das sind wir einfach nicht. Was sollen wir da anbieten? Wir hatten da früher auch schon Plattenfirmen gehabt, die meinten „Ihr müsst da mehr anbieten.“ Ich kann jeden Morgen aufstehen, zeigen, wie ich meinen Kaffee trinke und sagen „Heute habe ich Großartiges vor.“ Oder „Ich geh dann eine Runde Joggen“ oder so. Das sind einfach so ein Ding, das mit uns und unserer Musik überhaupt nichts zu tun hat. Wenn ich morgens aufstehe, dann trinke ich meinen Kaffee und rauch eine oder fünf, aber das ist doch scheiß egal, das muss ich nicht die ganze Welt wissen lassen. Wenn man die Musik künstlich durch irgendwelche Facebook- oder Instagram-Geschichten raustreiben will, was soll das? Da verarsch ich mich doch selbst. Deswegen sind wir auch nicht berühmt. (lacht) Nein, das ist einfach nicht unser Ding.

R: Dieses Jahr ist euer 30-jähriges Bandjubiläum. Was ist denn alles noch geplant für dieses Jahr?

MD: Naja, da muss man ja erstmal ein bisschen abwarten, wie das mit Corona und dem ganzen Scheißdreck weiterverläuft. Dadurch ist es halt immer ein bisschen schwierig mit Planen mit Moment. Aber wir spielen dieses Jahr noch im LKA (Anm. d. Red.: LKA Longhorn in Stuttgart) und auf dem Summer Breeze haben wir auch einen kurzen Auftritt. Und dann müssen wir auch irgendwann noch das neue Album machen. Wir haben ungefähr 23 neue Lieder. Es wird also wahrscheinlich ein Doppel-Album. Aber das darf ich jetzt eigentlich gar nicht so sagen, beziehungsweise darfst du das eigentlich gar nicht so schreiben, denn wir wollen ja…(überlegt)

R: Das wäre jetzt aber tatsächlich meine nächste Frage gewesen, wie es denn mit einem neuen Album aussieht? „Void Estate“ ist mittlerweile ja auch schon wieder 5 Jahre alt.

MD: Ja, das stimmt. Aber man braucht auch immer Zeit und Geduld, wenn es geil werden soll. Wir haben uns auch gedacht, es sind jetzt 30 Jahre, da nehmen wir die Infinity-Platte nochmal neu auf. Das haben wir schon im Anschlag. Da muss man halt jetzt schauen, wie man das ganze macht und wann man das rausbringt. Durch die Corona-Geschichte bekommt man ja auch nichts mehr wirklich mit. Ich schau dann immer mal bei iTunes, ich habe ja kein Spotify, und sehe „Oh, die haben ja eine neue Platte“…

R: Dafür könnte ich dir aber tatsächlich Spotify nur empfehlen, denn da gibt es etwas, das nennt sich „Release Radar“ und da bekommst du quasi eine Playlist mit allen Neuveröffentlichungen mit all den Bands, die du so hörst. Das finde ich persönlich sehr praktisch.

MD: Das ist schön, ja. (lacht) Das stimmt schon, aber ich persönlich finde halt Spotify ist der Untergang jeglicher Musik, also was CD-Verkäufe und sonstiges betrifft. Für jeden richtigen Musiker ist das irgendwie der Untergang. Aber egal…

R: Da hast du natürlich vollkommen recht. Das ist die andere Seite der Medaille. Wenn man so lange im Musikbusiness ist, hat man da eigentlich noch irgendwelche konkreten Ziele? Gibt es etwas, dass ihr als End Of Green unbedingt noch erreichen wollen würdet?

MD: Nein. Ich glaube, wir machen das Ding schon so lange und wir spielen halt einfach. Wir haben auch einfach so eine geile Fanbase und wir spielen und machen die CDs einfach für unsere Fans. Uns ist das echt egal, ob unsere Alben jetzt auf Platz 1 oder 10 oder 20 landen. Es haben schon so viele versucht. Manche meinten auch „Sing doch mal auf Deutsch.“ Ja, klar. Auf schwäbisch dann oder was? (lacht)

R: Oh, ja bitte. Dann rasier dir aber bitte auch noch eine Glatze und mach richtigen Schlager.

MD: Genau. Nein, also wenn ich das machen will, dann wüsste ich auch, wie das geht, aber End Of Green ist einfach das, was wir seit 30 Jahren machen und genau so soll es auch bleiben. Da muss sich nichts großartig ändern. Es soll einfach so bleiben, wie es ist. Wir sind so unglaublich dankbar, dass wir auf Tour immer wieder dieselben Leute sehen und es manchmal auch noch ein bisschen mehr wird. Mittlerweile kommen dann teilweise schon die Eltern mit ihren Kindern. Das ist einfach geil. So muss das sein.

R: Stimmt, das macht auch echt den Reiz eines Konzertes bei euch aus. Als ich damals noch in Karlsruhe gewohnt habe, war ich schon öfters auf Konzerten von euch, was ja quasi immer Heimspiele waren, aber seit ich 2008 dann hier nach Leipzig gezogen bin, und hier dann die ersten Konzerte mitgenommen habe, habe ich erstmal festgestellt, wie eng eigentlich eure Fannähe ist. Ich kann mich zum Beispiel noch an ein Konzert in Dresden erinnern, als es von den Fans dann selbstgebackenen Kuchen gab und so…

MD: Ja, genau. Das ist echt Wahnsinn. Da sind wir auch einfach so unglaublich dankbar. Das ist alles so familiär. Also warum sollte es anders werden? Wenn es nur ums Geld ging, dann weißt du, was du machen musst, aber nein, das ist End Of Green und da gibt es nichts dran zu wackeln. Mittlerweile ist das einfach eine Lebenseinstellung. Das ist mein Leben und fertig, aus.

R: Ihr seid euch auch in all den Jahren musikalisch immer sehr treu geblieben und habt einfach euer Ding gemacht. Das Einzige, dass sich vielleicht verändert hat, ist, dass ihr ruhiger geworden seid. Ist das Altersmilde oder eine bewusste Entscheidung gewesen?

MD: Ich sag es mal so, das ist vielleicht das letzte Album gewesen. Da sind bei mir einfach ziemlich viele Leute gegangen, also gestorben. Das sind dann keine schnellen Lieder, sondern einfach Lieder, die das Leben trägt. Deswegen dauert es auch einfach manchmal, bis du wieder ein neues Album rausbringst, weil es einfach etwas mit der Lebenslage zu tun hat, wenn du Lieder schreibst und wie du gerade drauf bist. Die Lieder haben ja immer einen gewissen Tiefgang und sind kein Ballermann Hit…wobei sowas gab es auch schon. (lacht)

R: Ich muss sagen, dass fand ich bei euch tatsächlich immer faszinierend. Eure Musik ist ja an sich relativ schwerfällig und depri, aber live auf der Bühne war es echt oft total lustig. Das hat auch immer den Reiz für mich bei End Of Green ausgemacht.

MD: Ja, das stimmt. Vieles davon ist aber auch einfach unbewusst.

R: Das schweift jetzt zwar ein wenig vom eigentlichen Interview ab, aber eure Songs sind jetzt auch nicht unbedingt etwas, dass ich auf Partys hören würde, aber dadurch, dass ich ja selbst auch öfters mit meinen inneren Dämonen zu kämpfen habe, war eure Musik immer etwas, was mir Kraft gegeben hat und wo ich mich einfach drin wiederfinden konnte.

MD: Das ist sehr nett. Um genau das geht es ja eigentlich auch. Aber trotzdem bin ich ja eigentlich auch ganz lustig drauf.

R: Man sagt ja auch gerne mal, dass depressive Leute den besten Humor haben.

MD: Ganz genau. Wahrscheinlich ist das so.

R: Früher bezeichnetet ihr eure Musik als „Depressed Subcore“, mittlerweile nennt ihr es „Repressed Subcore“. Was hat es denn damit auf sich?

MD: Echt? Wer hat denn das gesagt? Ich glaube, das hat dann der Setzer (Anm. d. Red.: Sad Sir, Gitarrist bei End Of Green) gemacht. Vielleicht hört sich das besser an. Ich weiß es auch nicht genau. (lacht)

R: Es gibt auf jeden Fall in eurem Online-Shop mittlerweile T-Shirts auf denen das draufsteht.

MD: Ich glaube, das war mal für irgendein Konzert. Aber vielleicht war es auch nur mal ein Running Gag. Man macht ja auch gerne mal Wortspiele und er ist da sehr gut drin. Ich kenne auch nicht alles. (lacht)

R: Wie groß ist die Vorfreude nach so langer Zeit heute endlich wieder auf der Bühne zu stehen?

MD: Sehr hoch natürlich, aber auch ein wenig komisch, weil es schon eine Weile her ist und man heute Morgen um 5 aufgestanden ist. (lacht) Das Problem heute ist, dass die Hälfte unserer Crew Corona hat. Also hast du erstmal dein Team nicht dabei. Deswegen spielen wir heute quasi ein wenig eine Punkrock-Show. Es ist auf jeden Fall anders, als sonst. Aber die Freude ist natürlich groß, klar. Ich habe mir nur gedacht: Hoffentlich hat nicht noch jemand etwas, dann können wir die Show absagen. Das wäre scheiße. Zurzeit ist alles nicht gerade sicher.

R: Wie entstehen denn eure doch durchweg düsteren, aber oft sehr tiefgründigen Texte? Ist das alles persönliches Empfinden oder woher holst du dir die Inspiration?

MD: Ja, das hast du gerade richtig gesagt. Das ist ein tiefgründiges Empfinden. Man fängt an und danach wird es vielleicht noch ein bisschen korrigiert, weil mein Englisch auch nicht immer das Beste ist, also eigentlich schon, aber der Endeffekt entsteht genau dadurch. Du hast morgens eine Idee und dann fängst du an. Das trägt einfach das Leben mit sich. So viele Familienverluste, wie ich schon gehabt habe. Wenn du da so drüber nachdenkst…irgendwann bist du halt alleine. Und so kommt das dann teilweise einfach automatisch.

R: Neben End Of Green hast du dich auch immer wieder unzähligen Neben- und Soloprojekten gewidmet? Was gibt es denn da aktuell berichtenswertes?

MD: Da wird jetzt demnächst „Darkness, Blacksmith & Kerker“ rauskommen. Da machen wir Akustik-Cover von Johnny Cash, AC/DC, Billy Idol, Bad Company, Nick Cave und anderen in Mol. Dann gibt es noch ein Projekt, The Revenant, das habe ich mit unserem Mischer zusammen gemacht. Das ist quasi ein Zwei-Mann-Projekt mit 20 Liedern. Also da gibt es schon immer irgendwas, dass Bock macht und geil ist.

R: Sehr schön. Da bin ich sehr gespannt. Das war es auch schon. Du warst für deine Verhältnisse heute ja richtig gesprächig. (lacht)

MD: Das liegt aber tatsächlich auch an dir und das darfst du gerne so schreiben.

R: Ich fühle mich sehr geschmeichelt.

MD: Es hat mir sehr viel Spaß gemacht mit dir. Du bist ein sehr netter Mensch.

R: Dankeschön. Das freut mich sehr zu hören. Das kann ich aber nur erwidern.


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