Rajko Gohlke (Bassist/Gitarrist)
„Es muss schon immer extravagant sein.“
Rajko Gohlke gründete seine erste Band The Tishvaisings 1987, zum Ende der untergehenden DDR. Seitdem war er in unzähligen Kapellen aktiv, wie z.B. der, leider ziemlich in Vergessenheit geratenen, Crossover-Band Think About Mutation, eine der ersten Bands, die elektronische Elemente mit Gitarrensounds vermischte.
Seit über 10 Jahren ist er als Bassist mittlerweile fester Bestandteil von Knorkator und spielt außerdem in Bands wie Rummelsnuff, Freunde der italienischen Oper, Machine de Beauvoir oder The Distorted Elvises. Zusätzlich hat er ein experimentelles Solo-Projekt namens Mikrowelle. Was er die letzten Monate so getrieben hat und wieso er mal fast komplett nackt in San Francisco auf der Bühne stand, könnt ihr im folgenden Interview nachlesen.
RP: Hallo Rajko, freut mich, dass das heute geklappt hat. Du hast mit der Musik angefangen, als die Mauer noch stand und Deutschland geteilt war. Wie war es damals in einer Thrash Metal Kapelle zu spielen?
RG: Damals war das noch gar keine Thrash Metal Kapelle. Das war damals noch, sagen wir mal, Indie. Das hat sich dann erst 1990 nach der Wende dazu gewandelt. Aber für uns war das nicht wirklich schlimm. Vielleicht waren wir auch einfach noch zu jung. Wir waren ja gerade am Anfang. Wir haben das nur zwei bis drei Jahre im Osten mitgemacht und dann kam die Wende. Gegen Ende der DDR war es ja schon recht locker. Wenn du da nicht „Scheiß Honecker“ gesungen hast, konntest du das verklausulieren und von daher hatten wir keine Probleme. Wir haben uns aber auch nicht als politische Band gesehen. Wir waren keine Punkband oder Liedermacher, die das System verändern wollten, denen erging es auch anders. Wir wollten einfach nur Musik machen.
RP: Du warst über die Jahre in sehr vielen Bands als Bassist oder auch mal Gitarrist aktiv. Die meisten davon könnte man wohl als ziemlich extravagant bezeichnen. Nach welchen Kriterien hast du dir denn deine Bands ausgesucht beziehungsweise diese mitgestaltet?
RG: Ja, es muss schon immer extravagant sein. Sachen, die es schon gibt, interessieren mich nicht. Es muss irgendwie etwas Eigenes sein. Aber das hat sich meist einfach so ergeben. Man hat mit Leuten zu tun, oder lernt diese kennen, die eben auch etwas komisch drauf sind und irgendwie etwas Neues oder Einzigartiges probieren wollen und so ergibt sich das dann. Aber es ist nicht so, dass ich rumgegangen bin und immer geschaut habe, wer macht jetzt etwas besonders Tolles und da dann mal nachgefragt habe, das war und ist ein fließender Prozess.
RP: Wie ist das eigentlich bei einer Band wie Knorkator: Nervt es manchmal, wenn diese Band so sehr auf eine Person reduziert wird und die anderen eher als „schmückendes Beiwerk“ wahrgenommen werden? Wenn man Knorkator hört, denken die meisten ja automatisch erstmal nur an Stumpen.
RG: Das ist eine gute Frage, aber nein, das stört mich nicht. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich muss nicht vor 1000 Leuten, an vorderster Front den Maxen geben. Ich glaube, da bin ich auch gar nicht so der Typ für. Da muss man ja völlig frei sein und die Leute abholen. Das fällt mir schon manchmal bei meinen Projekten schwer, wenn ich sagen muss „Ja, jetzt kommt mal vor an die Bühne.“, Wenn du das machst, dann kommen die zwar, aber eigentlich nervt mich das. Die sollen von alleine kommen. (lacht) Aber so funktioniert das natürlich nicht. Deswegen ist es gut, wenn du geile Frontmänner hast, die dir ermöglichen geil Musik zu spielen.
RP: Was ist für dich schöner: Mit Knorkator vor 80.000 auf Wacken zu spielen oder mit deinen anderen Projekten in kleinen, engen, verschwitzten Clubs?
RG: Das ist natürlich eine nicht ganz einfache Entscheidung. Es ist beides toll. Wacken ist Wahnsinn. Da kriegst du eine Gänsehaut, wenn 80.000 Leute durchdrehen. Das ist schon geil. Und wenn Stumpen dann sagt „Macht mal alle ´nen Kopfstand“, macht die Hälfte einen Kopfstand. Das ist absolute Gänsehaut. Aber in kleinen Clubs ist natürlich auch geil. Danach an die Bar gehen oder so. Und man hat natürlich auch konkreter die Anerkennung. Man hat viel mehr den direkten Kontakt zu den Leuten, weil alle viel näher sind. Bei Wacken kannst du keinem in die Augen gucken, da sind die Leute so weit weg ist. Wenn du da aus der Nähe siehst, wie geil die Leute es finden, ist das schon toll…also im besten Fall geil finden. Wenn sie es scheiße finden, ist natürlich die Entfernung schon ganz gut. (lacht)
RP: Aber da kann man ja dann in Clubs schauen, dass möglichst wenig Licht zum Publikum kommt und zur Not macht man halt ein bisschen mehr die Nebelmaschine an. (lacht)
RG: Genau so machen wir das.
RP: Kommen wir zum Thema an dem aktuell kein Weg vorbeiführt: Corona. Was machst du seit der Zwangspause? Wie hast du das letzte Jahr verbracht?
RG: Ich habe erstmal ein dreiviertel Jahr gebraucht, um wieder selbst Musik zu machen. Am Anfang habe ich eben immer gedacht „Das muss doch irgendwie mal weitergehen“ und hatte auch keine so wirkliche Motivation. Dann habe ich die Schnauze voll gehabt und mit Mikrowelle angefangen eine EP zu produzieren. Die soll dann auf Vinyl rauskommen, was allerdings noch ein wenig dauern wird, da natürlich viele jetzt dieselbe Idee haben. Dadurch dauert es ewig, bis es aus dem Presswerk kommt und so wird sie wohl erst im Herbst erscheinen. Außerdem habe ich für das neue Rummelsnuff Album die Gitarre bei einem Lied eingespielt. Also mittlerweile habe ich mich da ein wenig reingefunden und damit arrangiert. Es kommen immer mal Leute, die etwas wollen und damit befasse ich mich eben jetzt und mache mit denen Musik. Man muss sich ja irgendwie beschäftigen, sonst dreht man durch. So lange wie dieses Jahr, war ich 30 Jahre nicht abstinent. Aber was will man machen? Ständig rumheulen ist ja auch irgendwie blöd.
RP: Wie sehr vermisst du denn die Bühne?
RG: Sehr. Das ist schon Wahnsinn. Es könnte langsam mal wieder losgehen. Aber ich rechne erst mit nächstem Jahr, würde mich aber natürlich freuen, wenn dieses Jahr schon etwas passiert. Ich hätte einfach gerne wieder einen sehr gefüllten Club mit schwitzenden Leuten und alkoholgeschwängerter Luft.
RP: Oh ja, das wäre toll. Wie geht es dir denn mit dem Stand der Dinge?
RG: Eigentlich habe ich ja schon alles gesagt. Es ist einfach nicht schön. Die Bühne fehlt und Leute, die einen bejubeln. Man ist ja doch schon Narzisst, wenn man auf der Bühne steht. Ansonsten mit dem Geld, das geht irgendwie mit den Hilfen. Zumindest bei mir funktioniert das ganz gut. Aber ich würde gerne auf das Geld verzichten und Auftritte machen. Allerdings jetzt auch nicht so, wie viele denken „Da könnt ihr doch online spielen“ oder „Spielt doch mal für die Hälfte“, wenn wir mal nur beim Geld bleiben. Sagst du zu einem Maurer, dass er mal für die Hälfte des Geldes arbeiten soll, dann zeigt der dir den Vogel…
RP: …oder baut dir dann auch nur eine halbe Mauer.
RG: Ja. Das wird halt manchmal ein wenig vergessen.
RP: Was nervt dich an der aktuellen Situation am meisten?
RG: Ich versuche mich nicht nerven zu lassen, muss ich sagen. Wenn du dich immer über alles aufregst, dann wird es noch schlimmer. Ich bin da auch zu wenig Wissenschaftler. Bildlich gesprochen ist jetzt gefühlt jeder Fußballtrainer und weiß ganz genau wie man das Spiel gewinnt. Aber im Endeffekt hat keiner eine Ahnung, liest nur irgendwas im Netz und wabert da in seiner Blase rum. Das erspare ich mir mittlerweile und lese das einfach nicht mehr und dann ist gut. (lacht) Aber was halt am meisten nervt an diesem Jahr, ist dieser graue Trott. Keine Höhepunkte, man wurstelt einfach so vor sich hin…
RP: Ja, das kenne ich. Man hat nicht viel, auf das man sich freuen kann, weil man auch nichts längerfristig planen kann, da ja immer noch diese Ungewissheit vorherrscht.
RG: Richtig, man kann ja nicht mal in Urlaub fahren oder so.
RP: Welche Projekte sind bei dir aktuell geplant?
RG: Wie schon gesagt, wird es mit Mikrowelle eine EP geben, die wird auf den Namen „The Dark Side of the Casiotone“ hören. Das ist Elektronik mit Surfgitarre. Da habe ich alles nur mit meinen drei Spielzeug-Synthesizern von Casio eingespielt und einer Gitarre. Ansonsten arbeiten wir mit Knorkator an einer neuen Scheibe, die wird dann so in ein bis zwei Jahren rauskommen. Und bei Rummelsnuff habe ich für die neue Platte ein Liedchen eingespielt und für seinen Kompagnon, den Maat Asbach, mache ich gerade auch zwei Lieder. Wir wollen dann mal schauen, wie wir das veröffentlichen. Da ist aber noch nichts Konkretes geplant.
RP: Wer in so vielen Bands über so viele Jahre hinweg auf den Bühnen dieser Welt unterwegs war, hat sicherlich viel erlebt. Wenn du auf dem Sterbebett liegen würdest und merkst, du hast noch genau Zeit eine allerletzte Anekdote loszuwerden. Welche wäre das?
RG: Da muss ich mal kurz überlegen, denn eigentlich bin ich eher ein Typ, der gar nicht so sehr in der Vergangenheit lebt. Ich freue mich, auch wenn vieles irgendwie dasselbe ist, das immer wieder neu zu erleben und finde es toll. Aber gut, es gibt eine Story. Mit Think About Mutation haben wir 1998 Aufnahmen in San Francisco gemacht, bei Billy Gould, dem Bassisten von Faith No More. Mein Koffer kam als einziges nicht an. Ich hatte also nur die Klamotten, die ich anhatte. Wir hatten natürlich gleich einen Auftritt und mussten direkt auf die Bühne. Dabei schwitzt man ja, wie so ein Schwein und ich hatte eben nur die eine Hose und das eine T-Shirt. Deswegen habe ich mich dann dazu entschieden ohne auf die Bühne zu gehen. Nackt wäre richtig geil gewesen, aber ich habe eine Unterhose angelassen. Das habe ich mich dann doch nicht getraut. Das ärgert mich im Nachhinein. Ich hätte es tun sollen. Einmal im Leben nackt spielen! Aber das war allgemein eine geile Erfahrung. Sechs Wochen San Francisco, acht Jahre nach der Wende. Da sind schon ein paar Träumchen in Erfüllung gegangen. Das hätte man sich zu Ostzeiten ja nicht träumen lassen.
RP: Das glaube ich dir aufs Wort. Vielen Dank für das Interview.
RG: Sehr gerne.
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