Sabine Miles (Bookerin/Veranstalterin)
„Ich habe mit der Auszeit so unfassbar viele Ideen gesammelt, die auf eine Umsetzung warten.“

Sabine Miles arbeitet seit über 15 Jahren im Leipziger Veranstaltungsbereich. Hauptsächlich veranstaltet sie die „Schwarzes Leipzig Tanzt“-Reihe, welche alle zwei Monate stattfindet. Aber auch im Rahmen des Wave-Gotik-Treffens ist sie zum Beispiel sehr engagiert, wo sie teilweise schon an vier Tagen bis zu drei Locations gleichzeitig koordinierte.
Ich traf mich mit ihr auf den Terrassen der Moritzbastei, um mit ihr darüber zu reden, wie denn das letzte Jahr für sie als Veranstalterin war, welche Hürden die Pandemie mit sich brachte, aber auch welche Chancen sie dadurch sieht.




R: Hallo Sabine, wie bist du denn überhaupt in der Veranstaltungsbranche gelandet?

S: Ich bin ziemlich jung dort gelandet. Ich habe mit 17 angefangen einen Club mit aufzubauen, das 1880. Dort habe ich am Tresen gearbeitet. Das war ein Club von der Szene für die Szene, ein kleiner Underground-Club. Dann hat sich „Schwarzes Leipzig“ entwickelt. 2005, zwei Jahre nach der Entstehung und nachdem das ziemlich gewachsen ist, hat man sich überlegt, dass das nicht nur eine Online-Plattform sein soll, sondern man auch etwas schaffen möchte, wo sich die Leute in Leipzig treffen können. Dort habe ich mich dann beworben und habe angefangen die ersten kleinen Veranstaltungen mit 50 Leute zu machen, was aber sehr schnell wuchs. Wir haben angefangen Halloween-Veranstaltungen zu machen, was wir ja bis heute tun. Die waren damals schon ziemlich groß. Wir haben auch immer mal die Location gewechselt und hatten immer ein paar Stargäste da. Das hat mich dann dazu gebracht, dass ich ein paar Kontakte geknüpft habe und dadurch auch in anderen Clubs mehr tätig wurde.

R: Du konntest jetzt zu Pfingsten, in Leipzig eigentlich traditionell WGT-Zeit, an der Moritzbastei über drei Tage „Schwarzes Leipzig Trifft“ veranstalten mit DJs und kleinen Live-Konzerten und so den Leuten wieder einen Hauch von Normalität und eine Flucht aus dem Corona-Trott geben. Wie spontan kam das zustande?

S: Das war superspontan. Wir haben lange nicht geglaubt, dass wir überhaupt etwas machen können, weil die Inzidenzen nicht dafürgesprochen haben. Eineinhalb Wochen vorher haben wir aber gemerkt, das entwickelt sich gerade in eine Richtung, wo wir wahrscheinlich doch etwas machen können. Wir haben uns dann online mit der MB [Moritzbastei] zusammengesetzt und angefangen Ideen zu spinnen, was wir machen wollen und angefangen zu booken. Wir haben immer geschaut, wie sich die Zahlen entwickeln und als wir gesehen haben, wir können das tatsächlich machen, sind wir in die Werbung gegangen. Das war dann Mitte der Woche, also wirklich ein paar Tage vorher erst. Also das war wirklich sehr spontan, aber wir waren sehr froh, dass uns das so gegeben war und wir unter strikten Maßnahmen, welche ich auch für absolut richtig und wichtig erachte, etwas auf die Beine stellen konnten.

R: Wie war das für dich nach all den Monaten endlich mal wieder etwas veranstalten zu können?

S: Als die erste Liveband anfing, war das für mich wirklich ein absoluter Gänsehautmoment. Man hat sich so gefreut, dass das hier wirklich stattfindet. Die Bands waren auch super dankbar. Wir haben extra gesagt, wir nehmen nur Leipziger Bands, weil wir nicht wussten, ob wir Bands herholen können oder ob es überhaupt möglich ist, dass Leute aus anderen Bundesländern kommen können. All das war nicht wirklich planbar. Wir hatten eben auch Glück, dass die MB draußen diese Möglichkeiten hat und die Bühne schon stand, denn innen wäre das nicht möglich gewesen.

R: Ich kann mir vorstellen, dass man es als Veranstalter im letzten Jahr nicht leicht hatte. Live-Events planen war eigentlich unmöglich oder wenn, dann nur relativ kurzfristig. Erzähl doch mal, wie es dir das letzte Jahr erging?

S: Wir hatten eigentlich große Pläne im letzten Jahr. „Schwarzes Leipzig Tanzt“ hätte sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Dafür haben wir haben schon im Jahr davor angefangen zu planen, unsere Termine zu sichern und die Bands zu booken. All das mussten wir dann zurückschrauben. Aber wir hatten im Sommer die Möglichkeit hier in der MB einige Dinge zu machen. Halloween hatten wir noch angefangen zu planen, aber da haben wir relativ früh gemerkt, dass die Inzidenzen in eine Richtung gehen, dass wir das nicht mehr bewerkstelligen können. Ich glaube aber, dass die Auszeit auch mal sehr wichtig war für die Menschen. Man war doch ziemlich übersättigt. Man konnte jedes Wochenende auf ein Konzert oder eine Party gehen. Es gab immer irgendwelche Angebote. Jetzt hat jeder das nochmal schätzen gelernt, sowohl die Fans, wie auch die Veranstalter selbst.

R: Das stimmt, aber ich frage mich, wie lange das am Ende anhält, dass die Leute eben wirklich im Kopf haben, dass das alles schützenswert und eben nicht selbstverständlich ist.

S: Meine Prognose ist, dass wenn wirklich alles wieder richtig funktioniert, es ungefähr ein Jahr lang richtig Bombe laufen wird. Wenn dann die Veranstalter nicht anfangen kreativer zu werden, werden wir aber wieder vor dem gleichen Schlamassel wie vor Corona stehen, nämlich dass das Clubsterben wieder anfängt und dass die Leute nicht mehr so weggehen.

R: Du hast auch beim Booking des „Darkstream Festivals“ mitgewirkt, welches dieses und letztes Jahr online stattfand. Wie kam es denn dazu?

S: Das haben letztes Jahr zu Pfingsten einige Künstler entwickelt, weil absehbar war, dass das WGT nicht stattfinden wird und nichts in Leipzig gehen wird. Da haben sie dann die MB angefragt, welche sofort zugesagt hatte und man so dort die Räumlichkeiten nutzen konnte. Wir haben dann Bands angefragt, beziehungsweise sind auch Bands auf uns zugekommen, die uns Content zugeschickt haben, welcher von uns aufbereitet, abgespielt und live aus der MB moderiert wurde über vier Tage. Das Ganze wollten wir dann dieses Jahr wiederholen und das haben wir im April auch getan. Wir haben bewusst nicht das Pfingstwochenende genommen, weil wir ja nicht das WGT ersetzen wollen. Das war ein großer Erfolg. Das war tatsächlich eine sehr spannende Geschichte, weil das, auch als Booker, mit mehr Kreativität verbunden war. Bei der zweiten Ausgabe haben wir zum Beispiel angefangen Künstlerportraits vorzubereiten, also nicht nur auf Live-Content zu setzen. Außerdem haben wir Kurzfilme gezeigt. Wir wollten einfach die gesamte Bandbreite an Kunst und Kultur darstellen und diesen Leuten die Möglichkeit einer Plattform geben. Das wurde sehr gut angenommen und war ein sehr, sehr spannendes Projekt, wovon ich auch glaube, dass das in Kombination mit Live-Veranstaltungen zukünftig durchaus einen festen Boden haben kann.

R: Dass die Kultur- und Veranstaltungsbranche mit am meisten unter der Pandemie zu leiden hat, ist wohl unbestritten. Wie siehst du denn das Krisenmanagement der Politik?

S: Also in Berlin scheint das ja sehr gut zu funktionieren. In anderen Städten leider gar nicht. Die großen Institutionen wurden wohl relativ gut aufgefangen, aber ich habe von großen Veranstaltern, die keine festen Locations haben, gehört, dass es diesen sehr, sehr schlecht geht. Von den kleinen natürlich ganz zu schweigen. Ich denke es wird vielleicht einfach einen Zusammenschluss aus mehreren Veranstaltungen geben, wenn die Leute es schaffen das zu nutzen. Ich hatte mir tatsächlich von vorn herein gewünscht, dass die Leute anfangen, auch mal einander näher zu kommen und untereinander Dinge planen. So etwas gibt es zwar, aber auch da kochen die Leute ihr eigenes Süppchen. Das sind drei, vier Sachen, die zusammenarbeiten, aber es ist nicht so, dass man es schafft alle an einen Tisch zu bringen. Die Leute sollten viel offener werden. Ich finde, manche stehen sich da oft leider selbst mehr im Weg, als es sein müsste. Ich würde mir wünschen, dass die Leute viel mehr zusammenfinden und viel mehr miteinander planen. Wir stehen in keiner Konkurrenz. Jeder hat seinen Platz. Die Stadt ist groß genug für alle. Deshalb ist die Idee des Clubrates ein guter Ansatz. Ob er dann so umgesetzt wird, ist fraglich. In anderen Städten gibt es das schon.

R: Was genau kann man sich unter einem Clubrat vorstellen?

S: Es soll einen von der Stadt berufenen Club-Bürgermeister oder eine Club-Bürgermeisterin geben, der sich um die Lokalitäten kümmert. Dann kann man zum Beispiel als Club hingehen und sagen, dass man einen Förderantrag braucht, weil man dies und das plant. Sich durch die Bürokratie zu angeln ist ja nicht gerade einfach. Wenn man dann jemanden hat, der von oben draufschaut und dabei behilflich sein kann und unterstützt, ist das Gold wert. Auch wenn es um Themen wie die Kündigung der Location oder Anwohnerbeschwerden und den Umgang damit geht, wäre diese Seite geschützter. Bisher sind da ja nur die Anwohner geschützt. Dann kommt vielleicht „Wir hätten da etwas freistehen, dass wir euch sofort geben könnten und dann hättet ihr das Anwohnerproblem nicht mehr.“ Das soll hier in Leipzig jetzt gemacht werden. In Hamburg und Berlin gibt es dieses Konzept schon. Ich hatte das vor Jahren schonmal mit jemandem thematisiert und dann hieß es nur, dass Leipzig dafür zu klein wäre. Aber das sehe ich nicht so und jetzt mit der Krise kamen tatsächlich ein paar Leute auf die Idee, dass man das hier doch dringend bräuchte.

R: Es wäre echt schön und wünschenswert, wenn es so etwas gäbe und das dann auch wirklich funktioniert. Wenn ich an nicht mehr vorhandene Locations, wie zum Beispiel das 4rooms, denke, die irgendwelchen Immobilienspekulanten zum Opfer gefallen sind, dann hätte solchen Läden vielleicht geholfen werden können. Das war ein Club, der für mich wirklich ein ziemliches Loch in die Leipziger Szene gerissen hat, weil dort ja wirklich die unterschiedlichsten Veranstaltungen stattfanden und das Publikum immer cool und bunt gemischt war, ohne dass es dort wirklich Stress oder Theater gab.

S: Richtig, dort war ich auch immer sehr gerne. Die Location, die sie sich danach angeschaut hatten, scheint ja keine echte Alternative gewesen zu sein. Von daher wäre es schön gewesen, wenn dann jemand von der Stadt kommt, der dann eine alternative Immobilie hat oder den Kontakt zu Leuten, die unbedingt ihre Immobilie an etwas Sinnvolles vergeben wollen würden. Es bräuchte einfach dieses Bindeglied.

R: Wenn man sich in Leipzig umschaut, dann gäbe es theoretisch ja noch genug Möglichkeiten und Alternativen.

S: Vollkommen richtig.

R: Lass uns einen kleinen Ausblick in die Zukunft wagen: Was denkst du, wie der Sommer wird? Was wird machbar sein und was noch nicht?

S: Das ist jetzt natürlich sehr spekulativ. Im Moment wird darüber geredet, dass bis August ein paar Dinge mit bis zu 500 Leuten zugelassen werden können. Nach August wohl mit bis zu 1000 Leuten. Es wird sich vieles nach draußen konzentrieren. Jeder, der die Möglichkeit hat, etwas draußen zu machen, wird dies auch tun. Ich bin verhalten optimistisch. Es gab ja Ende letzten Jahres diese Untersuchung von Halle, wo getestet wurde, wie das Verhalten der Club- beziehungsweise Konzertbesucher ist und was geht beziehungsweise nicht geht. Das ist sehr positiv ausgefallen. Trotzdem war es im Winter nicht möglich Veranstaltungen zu machen. Deshalb wird uns nichts weiter übrigbleiben, als alles sehr spontan zu machen. Draußen hat man halt auch das Problem, dass man sehr wetterabhängig ist. Wenn es jetzt die ganze Zeit regnen sollte und kühl bleibt, ist halt immer die Frage, ob die Leute zu einem Konzert kommen würden. Das wird alles nicht einfach, aber es wird zumindest eine kleine Perspektive sein. Wer natürlich keine Outdoor-Möglichkeit hat, ist aber leider wirklich ziemlich...(überlegt)

R: …gefickt! Ich vollende das mal für dich, auch wenn du es wohl nicht so sagen möchtest.

S: Gut. (lacht)

R: Denkst du, die Branche wird sich von dieser Pandemie erholen oder werden v.a. kleinere Lokalitäten es schwer haben zu überleben und somit einiges an Kultur wegbrechen?

S: Ich habe davon gehört, dass einige Clubs geschlossen haben und in die Knie gezwungen wurden, aber von einem Leipziger Club habe ich das bisher noch nicht gehört. Die Frage ist einfach, wie lange hält der Umstand noch an und wie viel Atem haben die Leute noch. Ich bin der Meinung, es muss sehr viel Kreativität kommen und vor allem viel mehr Spontanität und Flexibilität seitens der Veranstalter. Da sind die meisten sehr lethargisch.

R: Inwiefern?

S: Dass das ja wieder mit Mehraufwand verbunden ist und die Frage, ob sich das denn überhaupt lohnt und man will nichts zu schnell planen und am Ende doch nicht machen. Da gibt es eben Maschinerien, wo alles über Monate heraus geplant und langsam entwickelt wird. In diesem Rad sitzen alle noch richtig fest. Nichts von wegen „Wir machen das mal spontan und das wird schon cool und wird schon laufen.“ Es fehlt mir da in allen Bereichen an Flexibilität. Ich denke mir immer: Hauptsache es läuft irgendwie.

R: Kannst du der Pandemie trotz allem auch etwas Positives abgewinnen?

S: Ja, ich denke einfach, dass in den Köpfen der Leute jetzt wieder ein wenig mehr Wertschätzung ist, wie vorhin schon erwähnt. Es hat die Leute tatsächlich auch ein wenig zum Durchatmen gebracht. Manche haben ja wirklich nur rotiert. Außerdem hat es den ein oder anderen auch zu Kreativität bewegt, indem man sich neue Wege gesucht hat, um irgendetwas auf die Beine zu stellen. Das Bandhaus hat es als kleine Institution zum Beispiel geschafft in Technik zu investieren und aktuell regelmäßig Bands zu streamen. Das werden sie auch nach der Pandemie beibehalten und parallel fahren. Ich denke, dass genau das unsere Zukunft sein wird. Livekonzerte und zeitgleich im Internet verfügbar. Ist ein Konzert mal ausverkauft, kann man trotzdem teilhaben. Wohnt man außerhalb, kann man sich, sofern es wieder möglich ist, gemeinsam treffen und ein Konzert schauen. Für unsere WGT-Besucher gibt es die Möglichkeit Locations und Happenings außerhalb des Festivals nach Hause zu holen. Touristen können ihre nächsten Stadtausflüge nach Veranstaltungsplänen planen. Ich habe durch Streams in Städten neue Locations kennengelernt und werde diese bei meinem nächsten Ausflug in die Stadt sofort besuchen. Ich denke, dass der Mehrwert größer ist, als viele vermutet haben. Die Reeperbahn digitalisiert sich gerade komplett, inklusive der Stripclubs. Das hat hier dauerhaft nur das Bandhaus geschafft und ein paar Theaterbühnen. So etwas könnte man auch mit einem Ticketanbieter verknüpfen. Auch diese sind ja froh, wenn es wieder Einnahmen gibt. Das Kaufverhalten in Ticketbüros ist ja auch eher verhalten. Ich habe mit der Auszeit so unfassbar viele Ideen gesammelt, die auf eine Umsetzung warten. Also falls jemand Bedarf hat… (lacht)

  

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