Shakey Sue (Sängerin The Hellfreaks)
„Wir befinden uns auf einem nie endenden Weg.“

The Hellfreaks sind eine seit 2009 existierende Band aus der ungarischen Hauptstadt Budapest. Anfangs noch im Psychobilly zu verorten, erfolgte im Jahr 2014 der Wechsel hin zum Punkrock, befördert durch einen Besetzungswechsel und weil die Band sich einfach mehr musikalische Freiheiten einräumen wollte. Sängerin Shakey Sue durfte ich erstmals 2012 beim Shooting für das Cover des zweiten Albums „Circus Of Shame“ kennenlernen. Als die Idee für „Kulturgut“ konkrete Formen annahm, musste ich sie unbedingt nach einem Interview fragen. Eigentlich wollte ich diese zwar immer persönlich führen, aber da dies aufgrund der Entfernung und unter den aktuellen Bedingungen leider nicht möglich war, habe ich für sie eine kleine Ausnahme gemacht und mich mit ihr zu einem Videocall verabredet.



R: Freut mich, dass wir uns mal wiedersehen. Erste und wichtigste Frage: Wie geht’s dir denn aktuell? Und wie ist die aktuelle Corona-Lage in Ungarn?

S: Mir geht es gut. Ich war die ganze Zeit kerngesund. Ich konnte von Zuhause aus arbeiten. Aber mir war schrecklich langweilig. Die gute Nachricht ist, dass mittlerweile über die Hälfte des Landes komplett geimpft ist. Ich bin auch geimpft.

R: Da seid ihr dann schon mal wesentlich weiter als wir hier in Deutschland momentan…

S: Naja, es ist halt so, dass unser „König“ auch Impfungen gekauft hat, die nicht von der EU zugelassen sind. Daher wurden auch ganz viele Leute mit Sinopharm, was die chinesische Impfvariante ist, oder Sputnik aus Russland geimpft. Aber ich konnte BioNTech bekommen und bin daher auf der sicheren Seite. Mir war einfach wichtig eine Impfung zu bekommen, mit der ich später dann auch Reisen kann. Für die Band ist das ja ein wichtiger Aspekt.

R: Da ich und wahrscheinlich auch die meisten Leute, die dieses Interview lesen werden, nicht wirklich verfolgt haben, wie es denn das letzte Jahr über in Ungarn war: Wie ist denn das Land durch die Pandemie gekommen und im speziellen eure Band?

S: Wenn wir von Corona reden, dann geht es hier eigentlich fast nur um die Politik, aber ich denke, das ist wohl überall so. Bei uns war es tatsächlich so, dass in der dritten Welle die Todesrate die höchste in Europa war. Als Band konnten wir natürlich keine Konzerte spielen und wir haben auch nicht zu den Bands gehört, die schon anfingen im Voraus wieder Konzerte zu planen, weil wir das Gefühl hatten, dass die ganze Sache noch ziemlich hoffnungslos ist. Deswegen haben wir angefangen an neuen Songs zu arbeiten und haben auch mehr Musikvideos releast als geplant. Das war, so gesehen, auch ziemlich cool, weil wir eben viele Fans haben, die nicht in Europa wohnen. Das heißt, selbst wenn wir hier Konzerte spielen können, sehen die uns ja meistens nicht. Ich denke, für diese Leute war es schon ziemlich cool, dass wir jetzt viel mehr Content rausgehauen haben, als eigentlich geplant war.

R: 2020 kam endlich euer neues Album raus. Wie sehr nervt es, wenn man nach zwei Jahren endlich seine Platte raushaut und dann damit nicht auf Tour gehen kann, um zu sehen wie die Leute darauf live reagieren?

S:  Unser viertes Album haben wir im Februar 2020 releast. Dann hatten wir ganze vier Shows in Deutschland. Danach sind wir nach Hause gefahren und eine Woche später war dann überall Lockdown. Ob das nervig war? Ja, verdammt! Wir haben uns so scheiße gefühlt. Du arbeitest zwei Jahre lang an dem Album und den Songs, du steckst da unglaublich viel Geld und Energie rein und denkst dir „Jetzt hab ich’s! Jetzt kann ich die Welt verändern.“ und dann…nein, kannst du nicht. Das war schon eine total beschissene Situation. Aber den anderen Bands ist es ja nicht anders ergangen. Es war ja nicht so, dass es ein Wettbewerb war, den wir nicht gewinnen konnten, sondern einer, bei dem es grundsätzlich nur Verlierer gab.

R: Das neue Album ist für mich euer bisher bestes und vor allem abwechslungsreichstes Album. Im Gegensatz zum Vorgänger „Astoria“, der sehr punkrocklastig war, findet man auf „God On The Run“ auch Elemente aus den Bereichen Metal, Hardrock und Hardcore. Der letzte Song erinnert sogar von den Vibes her ein wenig an die Nine Inch Nails. Würdest du sagen, The Hellfreaks sind stiltechnisch endlich angekommen?

S: (lacht) Wir werden nie ankommen. Wir befinden uns auf einem nie endenden Weg. Beim dritten Album „Astoria“, was wirklich ein Punkrock-Album war, mussten wir uns als Band neu erfinden, weil wir eben neue Mitglieder hatten und keinen Psychobilly mehr machen wollen. Wir wollten einfach schauen, was daraus wird. Wir hatten ein paar Monate, um neue Songs zu schreiben und was kam, war einfach nur Punkrock, was ich auch echt cool fand. Aber beim vierten Album hatten wir viel mehr Zeit und auch viel bessere Möglichkeiten um Aufzunehmen. Wir haben auch viel mehr Songs geschrieben. Es war nicht so wie bei „Astoria“, dass jeder Song, den wir geschrieben hatten, auch auf die Platte kam. Man könnte auch sagen, wir haben uns mehr Mühe gegeben. (lacht)

R: Seit ich dich kenne, hast du dich immer sehr für Geschlechtergleichheit stark gemacht. Wie siehst du denn die aktuelle Entwicklung im Bereich der alternativen Musik: Frauen sind, wenn man die Szene als Ganzes betrachtet, in Bands doch noch immer ziemlich unterrepräsentiert, oder?

S: Ja, aber ich finde, in den letzten Jahren ist die Situation schon viel besser geworden. Ich sehe viel mehr Frauen, vor allem im Bereich der Metal-Musik. Ich denke insgesamt, dass die Tendenz da echt gut ist. Generell mag ich es eine Frau in der Musikindustrie zu sein. Ich bemerke hier viel weniger Nachteile, als in der ganz normalen Arbeitswelt. Was aber tatsächlich nicht so toll ist, ist wenn du dir Line-ups von Festivals anschaust. Da sind wir noch immer ganz weit davon entfernt, dass Bands mit Frauen präsenter sind. Trotzdem denke ich, dass wir auf einem guten Weg sind, wenn ich mich daran zurückerinnere, wie es vor 10 Jahren war. Damals hieß es noch „Oh wow, da singt eine Frau.“ und heute ist das nicht mehr so ein großes Ding. Genau das freut mich. Ich möchte ja, dass es kein großes Thema ist, ob da eine Frau oder ein Mann singt. Für mich ging es immer darum, dass wenn eine Frau in einer Band ist, diese nicht anders behandelt werden sollte. Ich hatte mal mit einem amerikanischen Radiosender ein Interview und die meinten dann am Ende, dass es doch total cool wäre, wenn sie Festivals machen würden, auf denen nur female-fronted Bands auftreten. Aber genau das wäre nicht cool. Es wäre cool, wenn es bei Festivals eben keinen Unterschied macht, ob eine Band female-fronted ist oder nicht, beziehungsweise wenn sich unter 100 Bands eben nicht nur ein oder zwei Bands finden würde, bei denen eine Frau mitmacht, sondern wenn das langsam ins Gleichgewicht kommen würde.

R: Ist für dich Sexismus denn heute noch ein Problem im Musikbusiness? Als ich mich auf unser Interview vorbereitet habe, habe ich mir neben euren Songs und Videos auch einige andere female-fronted Bands angehört beziehungsweise angeschaut und mir fiel auf, dass bei wirklich vielen Bands, die Sängerinnen eher irgendwie als „hübsches Püppchen“ dargestellt werden und auf gewisse Art und Weise sexualisiert werden und die restlichen Bandmitglieder dann eher dekoratives Beiwerk sind, wenn überhaupt.

S: Wenn wir über das Thema female-fronted Bands sprechen, dann muss ich auch immer betonen, dass die männlichen Mitglieder bei solchen Bands wirklich so richtig benachteiligt werden. Du glaubst gar nicht, wie häufig es passiert, dass bei Konzertbuchungen der Veranstalter sagt, er möchte nur ein Bild von mir benutzen. Dann muss ich jedes Mal darauf hinweisen, dass nicht ich alleine die Band bin. Ich bin nur ein Teil davon. Ohne meine Bandmitglieder bin ich nichts. Aber selbst, wenn ich das betone, sagen die Veranstalter „Ja, aber die Leute kommen wegen dir.“ Manchmal können wir das so hinbiegen und sagen, dass wir nur kommen, wenn sie auch das Promobild verwenden, dass wir schicken, aber manchmal haben wir da tatsächlich auch überhaupt keinen Einfluss. Die merken gar nicht, wie respektlos das gegenüber mir, aber vor allem der ganzen Band ist. Also man kann grundsätzlich nie wissen, ob jetzt wirklich die Band die Frontfrau nach vorne schiebt oder ob es vom Management oder vom Veranstalter ausgeht. Das ist echt schwierig da reinzusehen. Das Thema Sexismus ist bei mir nicht mehr wirklich ein Thema, weil ich da mittlerweile sehr strikt sein kann. Bei mir kann man da eigentlich nichts mehr falsch verstehen und wenn sich doch mal jemand danebenbenimmt, dann lass ich ihn das auch sofort wissen, was ich darüber denke. In den Anfangsjahren, als ich noch viel jünger war, war das aber auch nicht immer der Fall. Als das mit den Hellfreaks anfing, war ich 19 oder 20. Da ist man einfach noch nicht so gut gewappnet, wie jetzt. Ich war noch unsicher und wusste nicht, was ich darf und was ich nicht darf. Ich habe da erst mit den Jahren sehr viel dazugelernt.

R: In einem Interview von dir habe ich mal gelesen, dass du quasi durch einen Unfall zur Musik gekommen bist. Davor warst du Geräteturnerin und das sehr erfolgreich. Du warst sogar in der ungarischen Nationalmannschaft. Wenn du dich heute entscheiden könntest: Lieber Turnen oder lieber Punkrock?

S: Wenn ich mich hätte entscheiden können, hätte ich Turnen ganz sicher noch länger gemacht. Ganz einfach aus dem Grund, weil man Geräteturnen als Frau eh nicht lange machen kann. Ich hatte meinen Unfall, als ich 14 war. Wenn alles gut gegangen wäre, hätte ich das noch machen können, bis ich circa 20 bin. Danach ist man in der Regel schon zu alt für den Sport und ich hätte danach ja genauso mit der Musik anfangen können. Ich habe ja so oder so relativ spät damit angefangen. Zum Glück ist es bei der Musik so, dass man das eigentlich auch endlos lange machen kann.

R: Wie ist es eigentlich als Band aus Osteuropa hier auf Tour zu sein? Hat man da öfter mal mit Vorurteilen zu kämpfen?

S: Ja, andauernd und immer. Das ist ein ziemlich komplexes und langes Thema. Wenn du in Deutschland sagst, du kommst aus Ungarn, dann kommen in der Regel zwei Sachen: Bei der älteren Generation kommt meistens „Ah, Balaton.“. Damit kann man dann noch umgehen. Bei der jüngeren Generation kommt meistens „Ah, Viktor Orban.“ und damit kann man dann schlechter umgehen, weil dann direkt die Vorurteile kommen, was für Menschen alle Ungarn sein müssen, was ja überhaupt nicht stimmt. Da ich ziemlich gut Deutsch spreche, merke ich ja auch die Kleinigkeiten, die ich wahrscheinlich nicht merken würde, wenn ich nur auf Englisch mit den Leuten reden würde. Ich merke leider ganz oft, und das gilt jetzt nicht nur für Ungarn, sondern allgemein Osteuropa, dass wir abgestempelt werden. Da heißt es dann Osteuropa ist weniger wert, in Osteuropa ist ja eh alles billiger, was gar nicht stimmt. Hier ist der Lebensunterhalt eher teurer. Dann gibt es oft noch das Vorurteil, dass wir nicht gebildet seien, weil wir eben nicht alle Englisch sprechen oder dass wir alle nicht in der Stadt, sondern auf dem Land leben würden oder das Vorurteil, dass wir selbst angeblich voller Vorurteile wären, was ich immer am schlimmsten finde. Es gibt aber auch immer wieder amüsante Momente. Wenn wir mit anderen Bands zusammenspielen, die nicht wissen, was für Musik wir machen, aber dass wir aus Ungarn sind, denken die oft, das wird sowieso nicht gut. Dadurch wollen sie vorher oft gar nicht großartig mit uns sprechen. Aber wenn wir dann unseren Soundcheck machen und sie uns hören, sind sie plötzlich alle ganz lieb und ganz nett. Das kommt echt häufig vor.

R: Was war denn das Verrückteste, was du mit den Hellfreaks je auf Tour erlebt hast?

S: Die komplette USA-Tour war sehr verrückt. Wir hatten eigentlich jemanden, der uns vor Ort helfen sollte mit allem zurechtzukommen, aber das war ein Mädchen, das so unglaublich drogensüchtig war, dass wir dank ihr öfter mal in Lebensgefahr geraten sind. Im Nachhinein ist das zwar lustig, aber wenn ich daran denke, wir wären fast auf der Autobahn gestorben, weil sie auf einem Mega-Trip war und überhaupt nicht mehr fahren konnte, aber auch niemanden von uns ans Steuer lassen wollte. Auf der anderen Seite war es natürlich auch super interessant, mal in den USA zu sein und zu sehen, wie unglaublich anders dort die Kultur ist und wie riesengroß dort alles ist. Aber wenn wir nochmal dort auf Tour gehen sollten, würden wir das definitiv anders machen, denn es war teilweise tatsächlich gefährlich dort auf Tour zu gehen, ohne eine richtige Vertrauensperson. Ich glaube dort ist es wirklich wichtig jemanden als Tourbegleiter zu haben, der einfach weiß, wie die Sachen laufen. Das ging schon bei Kleinigkeiten los. Wenn du in Europa auf der Autobahn bist und unglaublich pissen musst, ist das kein Drama. Dann bleibst du irgendwo an der Raststelle oder so stehen und erledigst das zur Not bei einem Baum. Als wir in den USA mitten in der Wüste waren und dasselbe Problem hatten, sagte unsere Tourbegleiterin, wir sollen lieber in eine Flasche pissen oder in die Hose, da wir hier nicht anhalten können, weil hier alles voller Schlangen und Skorpione ist. Daran hatten wir natürlich nicht gedacht. (lacht) Außerdem sind die Polizeikontrollen dort etwas viel Ernsteres, als bei uns. Die haben dort viel mehr Respekt vor der Polizei. Dort gibt es eben Regeln, an die wir nicht unbedingt denken. Und auf der anderen Seite ist es auch echt creepy, dass dort so viele Menschen eine Waffe haben. Die konnten nicht verstehen, wieso das für uns komisch ist. Ehrlich gesagt, habe ich mich da echt nicht wohl bei gefühlt.

R: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Dann wären wir soweit auch schon mit den Fragen durch. Vielen Dank für deine Zeit und das Interview. Und dein Deutsch ist übrigens überhaupt nicht eingerostet. Ich habe nicht gemerkt, dass du es ein oder zwei Jahre nicht mehr benutzt hast.

S: Du bekommst ja nicht mit, was in meinem Hirn passiert. Da geht es nur „Ratatatatata! Wo sind die Wörter, die du benutzen möchtest?“ (lacht)

R: (lacht) Aber ich bekomme ja mit, was am Ende rauskommt und das ist definitiv sehr flüssig. Da fällt mir dann tatsächlich noch eine Zusatzfrage ein: Wäre es denn denkbar, dass es von euch vielleicht auch mal einen Song auf Ungarisch oder vielleicht sogar Deutsch geben wird?

S: Das Thema haben wir in der Tat schön öfters diskutiert. Deutsch kommt tatsächlich in Frage. Das würde ich eigentlich gerne machen und ich glaube schon, dass wir das irgendwann auch umsetzen werden. Das ist echt etwas, das auf meiner Bucket List steht. Aber natürlich habe ich schon etwas Angst, ob ich auf Deutsch dann die Lyrics hinbekomme. Ich schreibe ja seit 10 Jahren Songtexte auf Englisch. Aber auf Ungarisch würde ich das nie machen. Bei uns ist es so, dass wir für einen Begriff viel mehr Wörter haben, als im Deutschen oder Englischen. Es ist eine Sprache mit einem unglaublich großen Wortschatz. Das heißt, es ist ganz einfach wirklich schlechte Texte zu schreiben. (lacht) Es ist einfach eine Sprache, die sehr schwierig und komplex ist. Daher bin ich mir ziemlich sicher, dass ich auf Ungarisch keine Texte schreiben könnte, mit denen ich zufrieden wäre. Und ich möchte mich natürlich nicht auf die Bühne stellen mit Texten, für die ich mich schämen würde. (lacht) Aber eigentlich wäre es natürlich schon super für uns als ungarische Band, wenn wir wenigstens einen Song in unserer Landessprache machen würden. Hier ist es nämlich bis zum heutigen so, dass Bands, die auf Englisch singen nicht wirklich vorankommen, einfach weil die breite Masse nicht gut genug Englisch spricht und sich daher dem Ungarischen verbundener fühlt.

R: Wieso macht ihr auf einem Album denn nicht einfach mal ein cooles ungarisches Cover? Also irgendeinen Song, der in Ungarn total cool ist beziehungsweise den du total magst, den aber außerhalb wahrscheinlich niemand kennt, also quasi eine Hommage an eine deiner Lieblingsbands in Ungarn?

S: Ja, das wäre in der Tat eine Option. (lacht) Das wäre tatsächlich cool. Wir arbeiten ja jetzt an einem neuen Album, also who knows?


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