Thomas (Sänger Loikaemie)
„Wenn die Leute wissen und verstehen, worum es mir geht und das mittragen können, dann ist mein Ziel erreicht.“

Loikaemie sind seit Mitte der 90er eine der bekanntesten und beliebtesten Oi!-Bands, auch weit über die Skinhead-Szene hinaus. Nachdem 2014 eigentlich Schluss sein sollte, fand sich die Band 2019 wieder zusammen. Wie es sich anfühlt beim Comeback durch eine Pandemie ausgebremst zu werden, erzählte mir Sänger Thomas bei dem ein oder anderen Bierchen im Killiwilly. Außerdem verriet er, wieso es für ihn wichtig ist, sich immer wieder antifaschistisch zu positionieren und wieso ihr Lied „Trinkfestigkeit“ eigentlich gar nicht als Party-Hit gedacht war.

R: Zum Einstieg mal eine Frage: Wie bist du überhaupt in der Skinhead-Szene gelandet und was hat dich daran fasziniert?

T: In der Skinhead-Szene gelandet bin ich als die Wende kam. Noch zu Ostzeiten waren wir eine ziemlich große Gruppe. Wir waren ein bisschen rebellisch und hatten einen Jugendclub für uns vereinnahmt. Wir haben Metal gehört und sind marodierend und saufend durch die Stadt gezogen. Dann kam die Wende und die Gruppe hat sich so ein bisschen aufgelöst. Der Kern ist zwar erhalten geblieben, aber ein großer Teil ist leider in die rechte Richtung abgewandert. Nach der Wende sind viele Nazi-Skinheads aus Bayern rübergekommen und versuchten Leute zu rekrutieren. Ein Teil der Gruppe, in der ich mich bewegt habe, hat sich rekrutieren lassen. Und dann war klar, die sehen jetzt anders aus und ticken jetzt erstmal anders. Es war aber trotzdem faszinierend: Dieses Outfit, dieses Feeling, das man auf der Straße verbreitet hat. Es war völlig egal, wie man drauf war, es war gefährlich und faszinierend. Man war tätowiert und hatte eine Glatze. Das war für mich dann der ausschlaggebende Grund da reinzurutschen und dann bin ich da hängengeblieben. Damals haben Inhalte noch keine wirkliche Rolle gespielt. Ich war ja auch gerade einmal 16 oder 17 zu dem Zeitpunkt. Die Musik war natürlich auch cool. Zu dem Zeitpunkt habe ich selbst angefangen Musik zu machen. Ich habe den Punkrock der damaligen Zeit gehört und wollte das unbedingt selbst machen. Für mich war damals schon klar, ich bleibe da und versuche etwas daraus zu machen.

R: Ihr hattet mit Loikaemie eigentlich 2014 Schluss gemacht. 2019 kamen dann die ersten Comeback-Shows. Wie kam es dazu?

T: Das ist eigentlich relativ simpel. 2008 bin ich nach Rostock gezogen. Ich habe mir das einfacher vorgestellt als es am Ende dann war. Allein aufgrund der Entfernung konnte man nicht mehr so viel proben und zu den Konzerten zu fahren war schwieriger. Alles hat sich in die Länge gezogen. Außerdem kamen noch ein paar persönliche Gründe hinzu. Wir sind uns irgendwann auf den Sack gegangen und ich dachte mir damals, nach 20 Jahren ist ein guter Zeitpunkt aufzuhören und so haben wir das dann beendet. Hauptsächlich wegen der Entfernung, aber es gab eben auch noch ein paar mehr Gründe, so dass es nicht mehr so funktioniert hat, wie es funktionieren sollte. Irgendwann bin ich dann nach Leipzig zurückgezogen, habe eine neue Frau kennengelernt und durch den frischen Wind, den ich dann hatte, war klar, dass wir mit Loikaemie weitermachen. Man hat gemerkt, dass einfach etwas fehlt. Die Leute wollten es und wir wollten es auch. Wir haben uns ausgesprochen und ein paar Sachen verändert. So sind wir dann wieder zusammengekommen.

R: Eigentlich waren für 2020 und 2021 weitere Shows geplant. Wie seid ihr damit umgegangen, dass genau in dem Moment, in dem ihr eigentlich wieder richtig an Fahrt aufnehmen wolltet, ihr durch Corona ausgebremst wurdet?

T: Schlechtes Timing, würde ich sagen. Aber wir sehen das so vernünftig, dass wir das wegstecken können. Dann verschieben wir es halt um noch ein Jahr. Es ist immer noch ein Hobby. Wir machen das ausschließlich, weil wir Bock darauf haben. Und wenn es so ist, dass wir die Konzerte verschieben müssen, dann ist das halt so.

R: Was habt ihr denn im letzten Jahr so getrieben? Darf man sich auf neues Material von euch freuen, vielleicht sogar eine neue Platte?

T: Ja, wir arbeiten an einer neuen Platte. Das war der Hauptgrund, wieso wir uns die letzten 2 Jahre getroffen haben. Ansonsten haben wir an uns selbst gearbeitet. Wir haben uns neu ausgerichtet und überlegt, was wir machen wollen und was nicht. Wir gehen das dieses Mal deutlich professioneller an als vorher. Damals war alles nur aus einer Bierlaune heraus. Wir hätten unser Potential besser ausschöpfen können. Aber das machen wir jetzt, glaube ich.

R: Gibt es bezüglich des neuen Albums denn schon etwas Spruchreifes?

T: Wie gesagt, wir arbeiten an einer neuen Platte. Zur Überbrückung gibt’s das ein oder andere Schmankerl, aber dazu an entsprechender Stelle mehr. Eines kann ich aber sagen: Wir werden eine Single veröffentlichen und das wird dann die Vorschau für das kommende Album.

R: Mal ganz allgemein betrachtet: Was nervt dich an dieser Pandemie am meisten?

T: Das Einzige was wirklich nervt sind die ganzen Deppen, die so eine Pandemie hervorbringt. Es sind nicht die persönlichen Sorgen oder apokalyptische Prognosen. Es sind tatsächlich die Menschen, die jetzt auf die rechten Rattenfänger und Verschwörungstheoretiker reinfallen und durch fast schon psychotische Äußerungen auffallen. Diese Dummheit macht mir Angst und außerdem verhalten sich diese Menschen egoistisch und unsolidarisch. Darüber hinaus ist es schlimm für alle die einen Club, eine Kneipe oder sonst was betreiben und auf Gäste angewiesen sind.

R: Das ist wohl wahr. Aber kommen wir zu einem anderen Thema. Loikaemie war schon immer eine Band, die sich deutlich gegen rechts positioniert hat. Auf jeder Platte ist ein Song, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Hat diese Message für dich, aufgrund der Ereignisse der letzten Jahre, nochmal an Bedeutung gewonnen?

T: Ja. Mal abgesehen von der Grauzonen-Diskussion und den szeneinternen Quälereien, ist es nicht auszuhalten wie sich die Gesellschaft verändert hat. Der Rechtsruck ist spürbar und das spiegelt sich auch in unserer Subkultur nieder. Deshalb wird Loikaemie auch immer politischer. Wir verschließen nicht unsere Augen vor der Realität und tun so, als ob uns das in unserer rosaroten Skinheadblase nichts angeht. Mittlerweile sind wir auch Familienväter und da spielt die Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder eine nicht ganz unerhebliche Rolle.

R: Wie ist es denn einen Song wie „Trinkfestigkeit“ zu schreiben, der auf Zeltplätzen bei Festivals gefühlt aus jeder 2. Box kommt, bei dem alle mitgrölen können, aber die wenigsten wohl mehr als diesen Song von euch kennen oder erst gar nicht wissen, von wem er ist? Freut man sich da trotzdem drüber oder geht einem der Song dann irgendwann auf den Sack?

T: Es ist natürlich geil, wenn viele Leute den Song mögen und hören. Ursprünglich ist der Song entstanden, weil wir gemerkt haben, dass Alkohol, Feiern und Zerstörung zwar dazu gehören, allerdings einige den Absprung nicht schaffen und als bemitleidenswerte Figuren übrig bleiben. Der Song sollte kein Partyhit werden, sondern eher auf dieses Problem hinweisen. Naja…das ging wohl nach hinten los.

R: Vor ein paar Tagen hattet ihr bei Facebook ein Bild von eurem Drummer Bruno gepostet, auf dem er unter einem großen Aufkleber der Skinheads der BSG Chemie Leipzig mit eurem Logo steht. Als Überschrift habt ihr aus eurem Song „Wir sind die Skins“ die Textzeile „Zum Skinheadsein gehört mehr dazu, als nur dummes Zeug zu reden“ gewählt. Nach kürzester Zeit ist eine riesige Diskussion entfacht, weil Bruno ja gar keine Glatze hat und auch nicht in das klassische Skinhead-Klischee passt, beziehungsweise keiner ist. Abends saht ihr euch sogar genötigt ein ausführliches Statement dazu abzugeben. Nimmt sich die Szene manchmal zu ernst und zu wichtig?

T: Ja, total. Das ist ein Phänomen, das mich schon seit 30 Jahren verfolgt. Diese Subkultur ist in einigen Teilen sehr eingeschränkt und intolerant gegenüber neuen Einflüssen oder Ansichten. Mir ist klar, dass ein langhaariger Skinhead keinen Sinn ergibt, allerdings sollte man von Äußerlichkeiten abrücken und mal auf den Boden der Tatsachen schauen, was man hat. Loikaemie wird immer als DAS Aushängeschild der deutschen Oi-Szene gehandelt. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Publikum schon immer aus Skinheads, Punkern, Gruftis, Metallern und auch normalen Leuten bestanden hat. Es wird immer gesagt, wenn du dich als Skinhead fühlst und selbst als Skinhead siehst und diese Musik hörst und diesen Lifestyle lebst, dann gibt es Grenzen. Das war mir aber immer zu eng. Deshalb habe ich nie verstanden, wie man sich so engstirnig verhalten kann. Wenn ich bei den Leuten zu Hause bin und ins Plattenregal schaue und sehe, was die dann selbst für Platten zu Hause stehen haben, denke ich mir „Das was du erzählst, passt ja gar nicht zu dem, was du machst.“ Von daher denke ich schon, dass die meisten sich zu wichtig nehmen. Da wird immer auf eine Hartnäckigkeit und Correctness gepocht, die eigentlich keine Sau braucht. Damit steht man sich doch nur selbst im Weg. Diese Engstirnigkeit geht mir auf den Sack.

R: Also könnte man kurz zusammengefasst sagen, dass du an einem Punkt oder Alter angekommen bist, wo man auch mal sagen kann, dass dieses enge Schubladendenken total überholt und nebensächlich ist?

T: Ja, auf jeden Fall. Das hat aber nichts mit dem Alter zu tun, denn so habe ich vor 30 Jahren auch schon gedacht. Wenn man es mal ganz genau nimmt, sind die Leute, die sich als Skinheads und als unpolitisch bezeichnen, also Politik immer ausklammern wollen, oft die konservativsten und intolerantesten Menschen, die ich kenne und das hat nichts mit dem zu tun, weshalb ich so bin, wie ich bin. Im Endeffekt spielt es doch überhaupt keine Rolle, wie man aussieht oder rumrennt. Bei jeder Subkultur ist erstmal der kleinste gemeinsame Nenner, dass man sich von Arschlöchern und Nazis abgrenzen will. Ich bin grundsätzlich in allererster Linie Mensch. Ich bin nicht hauptberuflich Skinhead. Mir ging es immer um die Message und nicht um das Aussehen oder wer die coolste Sau ist. Wenn die Leute wissen und verstehen, worum es mir geht und das mittragen können, dann ist mein Ziel erreicht. Der Rest ist mir scheißegal.

R: Das ist ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank für deine Zeit und das Interview.


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