Cattivo Pictures
„Im Real Life ist nicht alles so kontrastreich, scharf oder clean.“

Stefan ist für mich nicht nur ein Fotograf, dessen Arbeiten ich sehr mag und mit dem ich auch schon das ein oder andere Mal ein Model für ein Shooting geteilt habe. Er zählt auch seit einigen Jahren zu meinen engsten Freunden. Nachdem es hier auf dieser Seite in den letzten Monaten so bedenklich ruhig war und ich das wieder ein wenig ändern möchte, war er die naheliegendste Option für ein Interview. Ich sprach mit ihm unter anderem über seinen Bildstil, wie eine Zusammenarbeit mit Models für ihn aussieht und seine Sicht auf die Zukunft der Fotografie.



 

R: Für die, die dich noch nicht kennen, stell dich doch mal kurz vor. Wer bist du und wie bist du zur Fotografie gekommen?

S: Ich bin Stefan, alias Cattivo Pictures, und komme aus Leipzig. Wie ich zur Fotografie gekommen bin? Ich hatte vor etlichen Jahren irgendwann mal ein neues Handy, welches das erste Mal eine recht annehmbare Kamera hatte und habe dadurch eben angefangen einfach Streetfotografie mit dem Handy zu machen. Ich habe schnell festgestellt, dass mir das Spaß macht und mir dann irgendwann meine erste Kamera geholt. Nachdem ich dann erstmal weiterhin bei der Streetfotografie geblieben bin, habe ich irgendwann angefangen auch mit Menschen zu arbeiten. Und seitdem mache ich eigentlich beides.

R: Wie bist du denn auf deinen Namen „Cattivo Pictures“ gekommen? Denn „cattivo“ heißt ins Deutsche übersetzt ja entweder „schlecht“ oder „böse/boshaft“. Ich finde da jetzt keines von beidem auf dich zutreffend.

 

 

S: „Cattivo“ kommt im Grunde von dem Lied „El Cattivo“ von den Ärzten. Das war früher einfach mein Gaming-Name beim Online spielen, weil ich irgendwas gebraucht habe und das Lied lief zufällig irgendwann. Ich finde es dahingehend passend, beziehungsweise der Zusammenhang kommt daher, dass ich oft recht unfreundlich schaue, obwohl ich es meist nicht bin.

R: Kann ich so bestätigen…

S: (lacht) Oft wird dann halt gesagt „Warum guckst du so böse? Warum bist du so grimmig?“ und daraus resultierte das im Grunde, einfach weil mir das immer nachgesagt wurde.

R: Das durfte ich mir tatsächlich auch schon manchmal anhören. Deine Bilder haben grundsätzlich immer eine gewisse Vintageästhetik. Wie kam es denn zu deinem Bildstil? War das von Anfang an dein Ziel oder hat sich das eher mit der Zeit entwickelt?

S: Das ist eine gute Frage. Also am Anfang meiner Fotografie war es noch nicht so. Da habe ich ganz viel ausprobiert, ganz klassisch mit starken Kontrasten und ganz viel hell und dunkel und was man da nicht alles macht. Auch ich habe meine Jugendsünden mit Colour Key und dem ganzen Kram. Alles was eigentlich jeder Fotograf am Anfang irgendwie mal gemacht hat, wo man sich heute für schämt.

R: Oh ja, da habe ich auch noch einige Bilder aus den Anfangstagen, wo ich mich heute frage „Was zur Hölle hast du dir da eigentlich damals bei gedacht!?“ (lacht)

S: Genau, aber das entwickelte sich dann quasi mit der Portraitfotografie, weil ich die Resultate aus der Analogfotografie eigentlich schöner finde. Die Bilder sehen einfach natürlicher aus. Sie sehen so aus, wie ich es für mich sehe, weil ich halt im Real Life…(überlegt)

R: …selbst mittlerweile vintage bin?

S: (lacht) Genau, oder halt auch alt. Das kann man sehen, wie man will. Nein, aber es ist eben nicht alles so kontrastreich, scharf oder clean. Deswegen gefällt mir das zum einen besser und ich finde auch, dass die Stimmung dadurch besser transportiert wird, weil ich eher natürliche Bilder ohne großartige Posen mag, die nicht so sehr gestellt wirken. Und zu diesem eher natürlichen Setting passt eben diese eher analoge Bildbearbeitung besser.

R: Könntest du dir denn grundsätzlich vorstellen deinen Bildstil auch mal wieder zu wechseln, da du dich vielleicht irgendwann mal dran sattgesehen oder du einfach Bock auf was Neues hast oder ist das genau das, was du für dich gefunden hast und du möchtest nichts anderes mehr machen?

S: Ich werde eher dabei bleiben. Der Bildstil hat sich über die letzten 3,4 Jahre ja doch immer mal wieder ein bisschen geändert. Was gleich bleibt, ist dass ich mit Körnung arbeite, dass es kein wirkliches Schwarz gibt, da ich das sehr hochziehe und es eher matt wirkt, dass die Lichter eher dunkel sind, also entsprechend der Analogfotografie. Das ist einfach etwas, dass mir generell gefällt. Daran werde ich festhalten. Was sich immer mal geändert hat und sicher auch weiter ändern wird, ist die Farbgebung, also das Colour Grading. Die Bilder jetzt sehen anders aus, als vor ein oder zwei Jahren, beispielsweise. Dabei wird es, denke ich, bleiben, dass sich die Farben, die Farbgebung, die Töne immer mal wieder ändern. Auch jetzt sind sie mitunter doch recht unterschiedlich. Ich habe verschiedene Presets, die ich mir selbst erstellt habe, mit denen ich arbeite und die unterscheiden sich farblich teilweise doch schon recht stark.

R: Neben Menschen fotografierst du ja auch sehr sehr gerne Street und einfach Alltagsmomente. Was ist denn für dich bei beidem der Reiz und könntest du sagen, was von beidem du lieber machst?

S: Bei der Peoplefotografie reizt mich zum einen natürlich die Interaktion mit dem Model. Das ist für mich immer irgendwo eine Herausforderung, alleine auch mental, weil ich im Umgang mit Menschen nicht sehr gefestigt bin. Das bereitet mir nach wie vor Schwierigkeiten, weil ich generell eher schüchtern und introvertiert bin. Deswegen ist jedes Shooting für mich auch irgendwie eine Herausforderung, gerade wenn es mit Models ist, die ich noch nicht kenne. Jedes Shooting hat eine eigene Dynamik, das heißt, ich weiß bei einem Shooting eigentlich nie, was am Ende bei rauskommt. Ich bin dann manchmal selbst überrascht, was am Ende entsteht, weil ich Shootings im Vorhinein nicht groß plane. Ich überlege mir vielleicht ein paar Stellen, wo ich das Model gern hinsetzen oder hinstellen würde und der Rest kommt vom Model. Das ist dann eine Kombination aus dem, was das Model macht und dem Bildausschnitt und der Perspektive, die ich in dem Moment wähle. Es ist dabei immer eine kleine Überraschung, was dabei entsteht. Da freue ich mich dann immer, wenn schöne Bilder dabei entstehen. Also es gibt bei jedem Shooting schöne Bilder, aber ich weiß vorher nicht, welche das sein werden.
Die Streetfotografie ist auch irgendwo ein therapeutisches Mittel für mich, weil es mir hilft rauszugehen, meine Umwelt bewusster wahrzunehmen und den Kopf aus dem Sand zu ziehen. Einfach irgendwo rausgehen, nach irgendwelchen Sachen umschauen, die ich schön finde, irgendwelche Szenen, die mir auffallen, die ich ästhetisch finde, die ich festhalten möchte. Es hilft mir halt den Kopf ein wenig frei zu bekommen.
Was ich von beidem lieber mache, kann ich an der Stelle aber nicht sagen, weil es für mich zwei sehr unterschiedliche Sachen sind, die unterschiedliche Wirkung auf mich haben. Da kann ich keine Vergleiche ziehen.

R: Wenn du ein Shooting mit Menschen hast, gibt es für dich da eine konkrete Herangehensweise, wie du dich darauf vorbereitest oder ist jedes Shooting für dich komplett individuell und auf seine eigene Art und Weise anders?

S: Das ist sehr unterschiedlich und hängt viel mit vom Model ab, ob ich beispielsweise das Model schon kenne. Es hängt auch davon ab, was das Model mitbringt. Ich arbeite regelmäßig mit Models, die einfach sehr viel Erfahrung haben und wissen, was sie tun, wo ich nicht viel tun muss. Da kann ich sagen „Stell dich da hin“ und sie liefern ihre Posen ab. Da brauch ich nicht so viel zu tun und da bereite ich mich auch nicht so viel drauf vor. Es ist aber auch davon abhängig, wo das Shooting stattfindet, also wenn es jetzt z.B. bei mir daheim in der Wohnung stattfindet, wo es einfach eingeschränkte Möglichkeiten gibt, dann muss ich mir vorher schon Gedanken machen. Ich mache mir da auch Notizen, weil das für mich spontan eher schwierig ist. Vieles entsteht natürlich auch spontan, aber so komplett nackt will ich da jetzt nicht in ein Shooting reinrollen.
Wenn ich natürlich Models habe, die ich noch nicht kenne oder weiß, die machen das noch nicht allzu lang und haben nicht so viel Erfahrung, dann überlege ich mir natürlich zusätzlich auch noch was in Richtung Posen, also was könnte wo gut aussehen, um da das Model entsprechend unterstützen zu können.
Ich bin auch eher jemand, der drinnen fotografiert. Draußen, also Street machen ich auch, allerdings habe ich da nicht so viel Erfahrung. Das ist dann natürlich komplett spontan, weil ich dann auch nicht immer weiß, wie die Gegebenheiten sind. Ich überlege mir natürlich schon Locations, wo man hingehen könnte, wo ich mir dann natürlich, wenn ich das kenne, schon vorher überlegen kann, wo genau könnte man was machen. Aber da ist die Vorbereitung schwieriger.

R: Was würdest du denn ganz generell sagen, was für dich ein gutes und interessantes Foto ausmacht?

S: Es ist sehr schwierig diese Frage zu beantworten, ohne auf Plattitüden zurück zu greifen. Aber die gängigsten Aussagen, die auf solche Fragen kommen, sind halt einfach auch die Realistischsten: also wirklich ein Foto, welches man länger anschaut, wo irgendetwas ist, das einen interessiert, das einen fängt, wo der Blick auf irgendetwas gelenkt wird, das eine Geschichte erzählt oder interessante Details sind; einfach irgendetwas, das mich dazu bringt ein Foto länger anzuschauen. Gerade in Zeiten von Instagram kann man das wirklich sehr gut messen, weil man, wenn man durch den Feed scrollt und ein wenig aktiver darauf achtet, gewisse Fotos keine Sekunde anschaut und weiterscrollt und bei anderen bleibt man wirklich stehen und schaut es sich an, weil es irgendeinen Reiz hat. Das ist einfach dieser Kontrast, den es dort gibt. Das ist natürlich vollkommen subjektiv und bei jedem ist das anders.

R: Wo du gerade schon Instagram angesprochen hast, passt das eigentlich sehr gut zu meiner nächsten Frage: In einer Zeit, in der jedes Smartphone eigentlich sehr brauchbare Bilder machen kann und es dazu unzählige Apps zur automatischen Bildbearbeitung gibt, KI immer weiter auf dem Vormarsch ist und auch unsere Gesellschaft immer schnelllebiger und unaufmerksamer wird, wie siehst du denn in diesem Zusammenhang die Zukunft der Fotografie?

S: (überlegt)

R: Also klar, es wird sicherlich immer Leute geben, die gerne fotografieren, aber denkst du das Menschen, die das Thema Fotografie intensiver verfolgen und eben auch Zeit und Herzblut in Bildbearbeitung und Co. setzen, eher am Aussterben sind und es in Zukunft, um es mal platt auszudrücken, bald nur noch Leute gibt, die eben mal schnell mal mit dem Smartphone ein Bild machen, einen Filter drüber klatschen?

S: Ich denke schon, dass es das weiterhin geben wird. Es wird vielleicht abnehmen, aber es wird es weiterhin geben. Ja, die KI ist mittlerweile zu außergewöhnlichen Sachen fähig und kann durch wenige Stichworte komplette Bilder erstellen, die mitunter wirklich gut sind, aber es bleibt etwas Künstliches und dieser Beigeschmack bleibt. Das ist sicherlich bei jedem anders, aber bei mir ist das so. Ich sehe heute schon auf Instagram, dass Leute auch KI-Art posten. Es ist zwar durchaus interessant, was dabei rauskommt, aber für mich ist das halt Fake, es ist nichts Echtes. Und genau das macht für mich den Unterschied. Wenn ich mir ein Bild angucke, wo ich weiß, jemand hat sich dieses Bild ausgedacht, ist irgendwo hingegangen, hat die Landschaft oder die Umgebung ausgekundschaftet oder mit Leuten interagiert und dann das Foto gemacht, dann hat das für mich immer noch eine ganz andere Wirkung, als ein Bild, das einfach nur von einem Computer erstellt wurde. Selbst wenn die Bilder teilweise qualitativ keinen Unterschied machen, wenn sie auf der gleichen Ebene sind, ist es für mich trotzdem mit dem Wissen, etwas anderes. Dadurch ist einfach die Wertigkeit solcher Bilder viel Größer für mich als von KI-Bildern.
Natürlich, wenn jetzt jemand sagt, ich möchte ein schönes Foto, können durch die KI durchaus schöne Fotos erstellt werden, ohne dass man Fotograf oder Kamera oder irgendwas brauch, aber an allen Fotografien, die man von sich hat, hängen Erinnerungen. Ich habe mit jemandem interagiert, ich habe mit einem Fotografen zusammengearbeitet, es gab eine bestimmte Stimmung, die diese Bilder so hat entstehen lassen. Und all das fehlt eben durch künstliche Fotos komplett. Da sehe ich doch schon einen starken Unterschied. Und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, wenn die KI noch besser wird, weil dieser Unterschied wird immer bestehen bleiben.
Und bezüglich dessen, dass mittlerweile jeder ein Smartphone in der Tasche hat, das brauchbare Fotos macht: Ein Smartphone oder eine Kamera ist nur ein Werkzeug. Ich selbst mache, zum Beispiel, auch viel Streetfotografie mit dem Telefon, wenn ich die Kamera nicht dabeihabe. Es ist zwar ein anderes Feeling mit einer Kamera, als mit dem Telefon, das ist nicht vergleichbar, aber die Ergebnisse sind brauchbar, auch wenn es da natürlich immer noch einen Unterschied gibt.
In erster Linie geht es immer darum, wer diese Fotos macht, ob jemand Ahnung davon hat. Man kann jemandem, der keine Ahnung von Fotografie hat, der kein ästhetisches Empfinden hat, eine 10.000-Euro-Kamera in die Hand drücken und er macht scheiß Fotos. Drück jemandem, der davon Ahnung hat, ein Nokia 3310 in die Hand und er macht dir trotzdem ein besseres Foto. Die Technologie ist das eine, aber das Handwerk, die Sicht auf bestimmte Dinge, das ästhetische Empfinden, ist das was den Unterschied macht. Deswegen sehe ich da auch noch einen großen Unterschied.

R: Das sehe ich absolut genauso. Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Hast du irgendwelche konkreten Ziele, die du mit deiner Fotografie noch erreichen möchtest?

S: Ja…beziehungsweise sind das eher persönliche Ziele. Es geht mir zum einen um die persönliche Entwicklung, als auch die fotografische Entwicklung. Zum einen möchte ich gerne noch gefestigter werden, wenn es um den Umgang mit Models geht, weil ich halt doch noch bei Models, die ich nicht gut oder gar nicht kenne, eine große Scheu besitze. Ich wünsche mir, dass ich das noch besser erarbeiten kann, dort mehr auf die Leute zugehen zu können. Ich möchte gerne spontan mehr Ideen haben, mehr Bilder im Kopf haben, was und wie ich es fotografieren möchte. Ich möchte auch lernen das besser umzusetzen, weil ich oft Ideen habe, die in meinem Kopf zwar wunderschön aussehen, bei der Umsetzung dann aber kläglich scheitern…

R: Das ist aber doch normal, dass sowas passiert, wenn man sich auch mal ausprobiert. Ich denke fast jeder Fotograf kennt den Satz „Ok, in meinem Kopf hat es gerade noch mehr Sinn gemacht.“, wenn man eine Idee hat und versucht diese umzusetzen und es wird dann doch nichts.

S: Ja; durchaus. Aber ich glaube, der Unterschied ist hier einfach die Quote. Die ist bei mir manchmal halt relativ beschissen, was das angeht, also dass Bilder wirklich so werden, wie ich es mir vorgestellt habe. Das sehe ich noch als ausbaufähig. Und ja, ich möchte kreativer werden. Ich möchte mehr Visionen haben. Ich möchte mehr lernen, mir Bilder vorzustellen und diese umzusetzen. Das fehlt mir manchmal noch ein bisschen. Ich bin halt jemand, der sehr in seiner Komfortzone ist und sich da wenig raustraut. Ich denke, dass ich noch ganz andere Sachen umsetzen könnte, wenn ich ein bisschen daran arbeite und mal was Neues ausprobiere.

R: Ich kann dich zwar grundsätzlich verstehen. Diese gewissen Selbstzweifel sind mir ja auch nicht neu. Allerdings glaube ich, dass du dich hier eindeutig schlechter siehst, als es in der Realität ist. Wir haben ja auch schon das ein oder andere Mal uns ein Model geteilt, wo ich dir ein wenig über die Schultern schauen konnte und es sind immer coole Sachen entstanden, auch an dir unbekannten Locations, wo ich mir oft dachte „Cool, da wäre ich jetzt nicht draufgekommen!“ und hey, du hast es auch schon mehrmals geschafft coole Bilder von mir zu machen und das mag was heißen. (lacht)

S: Ja, gut. Wenn man das so betrachtet…(lacht)

R: Ich danke dir auf jeden Fall für dieses offene und ehrliche Interview.

S: Gerne.

 


Links zu Cattivo Pictures:
instagram.com/cattivopictures

instagram.com/themoodydude